[Guest Post] Eine neue Musikfestivalbesucher-Typologie in der Erlebnisgesellschaft
Ich bedanke mich bei Karin, die es mir ermöglicht meine 2012 erschienene Diplomarbeit auf Kulturemarketing.de vorstellen zu können. Ich habe sie im Rahmen meines Master of Science im Internationalen Marketing an der ESC Rennes School of Business absolviert und glaube, dass die hervorgehobenen Resultate der Studie Einblicke in eine neue Art von Marketing für Festivals und musikalische Events anstossen könnten.
Das Internet und die Musik- bzw. Event-branche
Das Internet hat bekanntlich in vielerlei Hinsicht einiges verändert. Als Musikfreak war ich schon jahrelang an den verschiedenen Auswirkungen dieser Revolution auf die Musikbranche interessiert. Illegale downloads, peer-to-peer und Streaming Services (Deezer, Spotify, Napster usw.) wurden regelmässig thematisiert und sollen massgeblich an den schrumpfenden Umsatzzahlen schuld sein. Die Musikindustrie ist kaputt. Zumindest wurde dies von vielen behauptet. Dennoch wurde nie zuvor so viel Musik gehört wie heutzutage. Wie kann dieses Paradox bestehen?
Diese Frage stellte ich mehr letztes Jahr, als ich anfing an meiner Diplomarbeit zu schreiben und es war die Grundlage meiner Überlegungen. Ich ging zu aller erst den Gründen der fallenden CD-Verkaufszahlen nach, welche hauptsächlich beim Internet und der Digitaliserierung der Musik liegen. Tatsächlich ist durch die Dematerialisierung der wahrgenommene Wert der Musik geschrumpft d.h. nicht im qualitativen Sinne (wie schätzen Musik immer noch), jedoch sind Konsumenten allgemein nicht mehr bereit, dafür viel zu zahlen.
Festivals und die Erlebnisgesellschaft
Ab den 80er und 90er Jahren vermerkten Soziologen den Trend einer Erlebnisgieriegen Gesellschaft, in der kollektiv-hedonistische Verbrauchensmuster an Wichtigkeit gewannen. 1998 wurde der Trend von Pine und Gilmore in deren richtungsweisenden Artikel “Welcome to the Experience Economy” – welcher als Grundlage des Customer Experience Management gilt – aufgegriffen und die Evolution der Wertwahrnehmung für Unternehmen dargestellt. Darin verdeutlichen sie, dass Wettbewerbsvorteile in Zukunft darin bestehen würden, einzigartige, authentische und einprägsame Erlebnisse zu gestalten. Diese Evolution wird in der Folgenden Grafik dargestellt.
Der Boom der Live–Musik kann als Bestätigung dieser Theorie in der Musikbranche betrachtet werden. Die Motivation der Festivalbesucher wurde schon oft untersucht und es stellte sich immer wieder heraus, dass Erlebnisfaktoren eine wichtigere Rolle spielten, als der eigentliche musikalische Inhalt des Events. Im Klartext: wir gehen nicht auf Festivals nur weil die Musik uns gefällt. Dennoch glänzen Festivalpromoter eher mit Werbemitteln, die nur den musikalischen Inhalt hervorheben.
Ich schrieb die Diplomarbeit im Rahmen meiner Tätigkeit als Verantwortlicher für das Marketing vom New Fall Festival und ich wollte dem Thema “auf Erlebnis basierender Segmentierung” nachgehen und erforschen, wie man es in die Praxis umsetzen könne. Dieses Festival basiert auf der Überzeugung, dass Musik und Veranstaltungsort stark voneinander abhängen, das Erlebnis also nicht nur von der Performance der Künstler, sondern auch von den Venues beeinflusst wird. Das Festivalkonzept war der Perfekte Spielort für meine Nachforschungen.
Die neue Besuchertypologie
Die Ergebnisse der qualitativen Studie heben hervor, dass eine auf Erlebnisfaktoren basierende Segmentierung durchaus möglich ist und in die Tat umgesetzt werden kann. Die folgende, dreidimensionale Grafik stellt die drei verschiedenen Segmente dar:
Es stellte sich heraus, dass bei diesem Festival tatsächlich die drei Segmente vertreten waren:
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Die einen kamen hauptsächlich, weil sie Fans der Band waren. Dies ist der ausschlaggebende Grund für den kauf eines Tickets. Bei diesen Fans spielt das Festivalkonzept eine untergeordnete Rolle, denn sie scheinen eher “Produktorientiert” zu sein.
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Das zweite Segment (wesentlich kleiner) kam zum Event, obwohl sie die Band nicht kannten. Was sie anzog war das Festivalkonzept und das Erlebnis an sich. Es sind die Erlebnisorientierten oder experimentierfreudigen Besucher.
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Das dritte Segment ist schwieriger zu theoretisieren, denn sie sind in einer Art Hybridkategorie. Beides, Festivalkonzept und auftratende Band, müssen ihnen bekannt sein, um ein Ticket zu kaufen.
Zusätzlich fand ich noch heraus, dass je mehr Besucher Produkt- oder Inhaltsorientiert sind, desto mehr sind sie auch Bereit weite Strecken auf sich zu nehmen, höhere Eintrittspreise zu zahlen und im allgemeinen Barrieren zu überwinden.
Was bedeutet dies für Event marketing?
In der Praxis kann diese Erkenntnis von Festivalpromotern umgesetzt werden, indem diese Segmente in den Marketingmassnahmen berücksichtigt werden. Je innovativer das Festivalkonzept, desto relevanter ist diese Typologie. Weitere Nachforschungen müssten eine solche Typologie in einer quantitativen Analyse bestätigen und die Grössenordnung der Segmente erforschen. Ich konnte meinerseits nur feststellen (dies konnte ich nur bedingt nachprüfen).
Das düsseldorfer Festival Open Source setzt den Erlebnisfaktor geschickt in seiner Kommunikation nach aussen um, was sich vor allem in dem Internetauftritt wiederspiegelt. Auf der Website wird das Festivalerlebnis geschickt hervorgehoben. Diese liefern einen ersten Ansatz für auf Erlebnis basierender Kommunikation. Aber es ist noch vieles mehr möglich.
Die vollständige Diplomarbeit können Sie unter folgendem Link herunterladen: Maël Roth’s Diplomarbeit
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Über den Author: Ich, Maël Roth, bin ein dreisprachiger Marketingbegeisterter, tätig als Head of International Business bei einem Kölner Startup im Online Marketing. Musik- und Event Marketing sowie Customer Experience Management sind jedoch meine Leidenschaft.
Sehr interessantes Thema! Das schaue ich mir bei Gelegenheit mal genauer an.
[…] nicht auf Festivals, nur weil die Musik uns gefällt“, schreibt er in einem Gastbeitrag für das Kulturmarketingblog und stellt fest, dass es oft eher die Erlebnisfaktoren sind, die uns dazu bewegen, ein Festival zu […]
Interessant für Eventmanager ist auch das Ergebnis der Ohio Studie: https://news.osu.edu/why-popcorn-tastes-better-when-you-eat-it-with-chopsticks/
Gerade einfache Elemente, die in einer besonderen Weise Interaktion ermöglichen, begeistern die Messbesucher.