Social Media in der Kulturvermittlung - Sammlung von guten Beispielen

Social Media in der Kulturvermittlung – Sammlung von guten Beispielen

Social Media im Kulturmarketing – dazu gibt es schon viele gute Beispiele.
Kampagnen, Community-Aufbau, Besucherbindung, Reichweite steigern, Werbetrommel rühren und Fans dazu bringen, neue Fans anzuschleppen. Das haben schon etliche Kulturbetriebe mit Erfolg ausprobiert.

Was ist aber mit Social Media in der Kulturvermittlung?
Ist das für Kulturbetriebe einfach nicht interessant, weil keine Notwendigkeit für innovative Vermittlungsansätze besteht?
Beschäftigt sich niemand damit, weil kein brennendes Problem vorliegt, für das zu lösen man auf Social Media zählt (in Marketing/Kommunikation: Wegbrechen von jungen Zielgruppen, Wegfall von Förderungen…)
Oder gibt es noch zu wenige Beispiele, an denen man sich als Kulturbetrieb orientieren und die man als Quelle für eigene Ideen heranziehen könnte?

Schade, dass man sich da offenbar so wenig dazu überlegt, oder vielleicht sind die guten Projekte einfach schwer zu finden?
Ich habe in den letzten Tagen das Web durchforstet, da ich für einen Workshop diesmal keine Marketing- Beispiele, sondern welche aus der Kulturvermittlung suche – und habe ein paar interessante Ansätze gefunden – allerdings deutlich weniger als Beispiele für Marketingkampagnen.

Christian Holst schreibt in einem Artikel bei kultur-vermittlung.ch:

„Vor allem spricht aber ein inhaltlicher Grund für Kulturvermittlung im Social Web: Gute Vermittlung bedeutet, nicht nur zu belehren und zu informieren, sondern die Faszination der Kunst durch Partizipation erlebbar zu machen. Was liegt da also näher, als das „Mitmach-Web“ – wie das Web 2.0 auch genannt wird – für die Kulturvermittlung zu nutzen? Es gibt erstaunlich wenige Beispiele, wo das bereits geschieht.“

Das sehe ich auch so.
Das „Mitmach-Web“ wäre doch ein perfektes Medium, um Inhalte auf innovative Art zu vermitteln – nämlich durch Selbermachen, Mitmachen, aktives Dabeisein…

Ein paar Beispiele konnte ich finden – wobei sich im Social Web Kulturvermittlung und Marketing/PR tw. schwer trennen lassen.
Ein Tweetup z.B. geht sowohl als Instrument der Kulturvermittlung durch als auch als Marketing- und PR-Instrument. (Erläuterung Tweetup weiter unten im Text)
Die Leute werden schlauer, haben Spaß dabei und merken sich die Inhalte, weil sie Fragen oder Erläuterungen in Tweets fassen (Kulturvermittlung).
Es werden neue Zielgruppen erreicht, die vielleicht sonst nie in ein Museum gegangen wären (Marketing) und ordentlich Reichweite kriegt man auch hin damit, wenn man es geschickt anstellt (PR).

Hier nun ein paar  Beispiele

ich freue mich über Ergänzungen, Feedback, Diskussion! :)

Tanz ist Klasse -Education-Angebot des Staatsballetts Berlin

Das Education-Angebot des Staatsballetts Berlin hat Christian Holst in seinem Beitrag beschrieben:

„Dies umfasst natürlich Angebote für Schüler, selbst zu tanzen. Aber nicht jeder ist zum Tänzer geboren. Eine andere Möglichkeit besteht daher darin, dass die Schüler die Compagnie mit der Kamera begleiten und Filme über deren Arbeit produzieren, die sie bei Youtube einstellen. Diese Videos taugen nicht als PR-Clip, aber die jungen Filmemacher lernen aus nächster Nähe, was es heißt, ein Ballett zu erarbeiten. Und die Filme, in die sie ihre eigene ästhetische Handschrift einbringen können, verbreiten sie in ihren Netzwerken und werden so selbst zu Kulturvermittlern.

Eine Beschreibung des Programms „Tanz ist Klasse“ findet Ihr auf der Website des Staatsballetts, hier.
Die Website „Tanz ist Klasse“.

Commentaire bleu – Interaktion zum Museumsfest Köln

Anke von Heyl, Mitarbeiterin beim Museumsdienst Köln, hat mich auf die Aktion Commentaire bleu – Interaktion zum Museumsfest aufmerksam gemacht, die der Museumsdienst Köln im Mai dieses Jahres durchgeführt hat. Beim Museumsfest gibt es 24 Kölner Museen zu erkunden, dafür wurden mehrere Routen konzipiert.

„Der Museumsdienst wird mit einer besonderen Aktion zur Interaktion aufrufen.
Commentaire bleu sammelt Reaktionen, Meinungen, Assoziationen und viele Anregungen, die uns die Besucher des Museumsfestes zu den Kunstwerken und Objekten geben wollen. Wir laden alle auf die Facebook-Pinnwand des Museumsdienstes ein. Hier kann man vom Smartphone aus posten. (…)
Im Kulturquartier am Neumarkt präsentieren wir dann die Facebook-Pinnwand des Museumsdienstes live und in Farbe. So kann man dann an diesem zentralen Ort mitverfolgen, welche Entdeckungen andere Besucher in den verschiedenen Häusern machen. Unsere Facebook-Pinnwand wird an diesem Tag den Besuchern des Museumsfestes zu einem virtuellen Gästebuch werden und alle Kommentare, Assoziationen und Ideen zu den blauen Kunstwerken und Objekten in den beteiligten Museen aufnehmen.“

schrieb Anke von Heyl als Ankündigung der Aktion ins Blog des Museumsdienstes Köln.
Tolle Idee! Was dabei rausgekommen ist, welche Wellen das geschlagen hat und auch, welche Probleme es gab beschreibt sie in diesem Blogpost.

Tweetups und Kultups

“ Bei einem Tweetup treffen sich „zwitscherfreudige“ Personen mit ihren Smartphones an einem vorab vereinbarten Ort. Ziel ist es, hier über ein bestimmtes Thema gemeinsam zu „twittern“ und seine Freunde in der Ferne über die gewonnenen Erkenntnisse oder Gedanken durch Tweets über das Handy zu informieren.

so definiert Tanja Praske im Blog des Residenz Museums München dieses neue Format.

Bei einem Museums-Tweetup wird eine Führung eigens für Twitterer veranstaltet. Diese teilen ihre Eindrücke, Gedanken und Assoziazionen via Twitter – vorrangig  mit Freunden, die gerade irgendwo anders unterwegs sind und sich aus der Ferne an der Veranstaltung beteiligen, weniger mit den anwesenden Mit-Besuchern (mit denen könnte man ja auch einfach sprechen…).
Natürlich ist dabei ein Lerneffekt gegeben – man muss ja blitzschnell komplexe Inhalte oder Gefühle beim Betrachten eines Bildes in Worte fassen. Kurz und knapp. Denn mehr als 140 Zeichen hat man bei Twitter nicht zur Verfügung.
Ich selbst bin nicht so der Fan von gleichzeitig zuhören, betrachten, fühlen und twittern. Wahrscheinlich bin ich einfach zu alt für diesen Multitasking-Akt. Aber wenn ich zu Hause vor dem Bildschirm sitze und gerade in München oder Frankfurt ein Tweetup stattfindet, bringe ich mich gerne ein.

Tweetups in Münchner Museen organisiert die web-aktive Münchner „Aufbruch“-Truppe, im Blog von Christian Gries findet Ihr etliche Artikel dazu. In Frankfurt haben die umtriebigen Kommunikationsberaterinnen Ulrike Schmid und Tanja Neumann das Format „kultup“ ins Leben gerufen: Twitter-Besuche von Ausstellungen, Theatern, Orchestern und anderen schönen Orten. (hier ein Kulturmarketing Blog-Interview mit den beiden)
Ich selbst habe auch schon an einem Tweetup teilgenommen (im Jüdischen Museum Berlin, organisiert von Hie Suk Yang) und im Kulturmarketing Blog darüber berichtet.
Bald soll es übrigens auch Berliner Tweetups in wechselnden Kulturberieben geben (Hie Suk Yang hat da was im Busch…)

Fritzplus

Und dann ist natürlich noch zu erwähnen das Projekt Fritzplus. Anders als die bisher vorgestellten war das ein reines Webprojekt ohne „offline“ Komponente.
Mit

„Friedrich d. Große möchte dein Freund sein!
fritzplus bringt den Preußenkönig ins Social Web. Zu seinem 300. Geburtstag eröffnet der Alte Fritz ein Facebook-Profil. Mach mit und führe das Profil eines Zeitgenossen!“

lud das Team um Jan Mocka zum Mitmachen ein.
Kulturvermittlung: Die Personen sollten natürlich so authentisch wie möglich rüberkommen, und es gibt kaum einen besseren Weg, ein Gefühl  für eine historische Person wie z.B. Voltaire zu entwickeln, als für ein paar Wochen in dessen „Haut zu schlüpfen“. Friedrich der Große, Elisabeth Christine von Preußen, die Kaiserin Maria Theresia und andere Zeitgenossen „befreundeten“ sich mit stinknormalen Leuten von heute (z.B. mit mir) und teilten ihr Leben auf Facebook mit ihnen – mit einem Zeitsprung von 300 Jahren.
Die Idee war genial, die Ausführung nicht immer so genial, insgesamt ein tolles Projekt, das gut als Ideenquelle taugt… Inspiriert? :)
Hier sind ein paar Pressestimmen zum Projekt gesammelt.

Augmented Reality – Spielszenen zu Gemälden im Beispiel Sukiennice Museum, Krakau

Fast hätte ich eines meiner Lieblingsbeispiele für innovative Kulturvermittlung vergessen:
Die Augmented Reality Aktion des Sukiennice Museum in Krakau.

“Die Leute glauben, Museen sind langweilig. Unterhaltung bekommt man über Games (z.B. Wii), Social Networks und 3D Kino…”, so beginnt der Trailer zum Projekt.
Das Muzeum Narodowe in Krakau zeigt, dass das nicht stimmt und begeistert mit einer beeindruckenden Transmedia Kampagne für seine Sammlung aus dem 19. Jahrhundert.

Die  Besucher bekommen Smartphones, über die sich eine  Augmented-Reality-Anwendung aufrufen lässt. Wird das Smartphone über ein Objekt gehalten, erscheint auf dem Display die passende  Spielzene in hisotrischen Kostümen.
Das ist natürlich sehr aufwändig, da ja zahlreiche qualitativ hochwertige Videos gedreht werden müssen. Für die Schauspieler, Kulissen und Kostüme gebraucht werden.

Das Ganze wurde mit einer fetten PR-Kampagne gekoppelt, und auch auf den Plakaten zur Ausstellung (außerhalb des Museums) waren „Videos drin“ (via QR Code oder AR). Der Erfolg blieb nicht aus, in den ersten Wochen der Ausstellung war es schwer, an Karten zu kommen.

Christian Henner-Fehr hat das Beispiel Anfang 2011 im Kulturmanagement Blog gebracht. Interessant ist die Diskussion dort  im Kommentarbereich. Vielen Kulturliebhabern (v.a. den eingefleischten Hochkulturfreaks) ist diese Inszenierung zu „klamaukik“.  Mag sein, dass man stilvollere und weniger „kommerzige“ Filmchen hätte drehen können. Was die Schauspieler sagen verstehe ich nicht, weil ich kein Polnisch kann (und kann drum die Qualität der Texte nicht beurteilen).
Ich finde die Aktion sehr gelungen. Wozu ist denn ein Museum gut? In meinen Augen nicht, um einer Handvoll „richtiger“ Kenner auf Staatskosten feine Kulturerlebnisse zu bieten, die man nur verstehen und interpretieren kann, wenn man Kunstgeschichte studiert hat, sondern um einen möglichst großen Teil der Bevölkerung an Kunst und Kultur heranzuführen.

Eine gute Übersicht zu Augmented Reality Projekten im Museum findet Ihr bei Culture-to-go.

Was noch?

Es scheint doch noch so alle möglichen Ansätze zu geben (Dank v.a. an Axel Kopp), aber weil ich mir eh schon die Finger wundgetippt habe, hier einfach eine Linkliste. Klickt Euch durch und macht Euch selbst ein Bild:

Marketing-Erfolg, aber was die Vermittlung betrifft nicht zu Ende gedacht

Solche Projekte gibt es immer wieder: Die Marketingabteilung wirft sich ins Zeug und alle Kanäle an, interessierte neue Zielgruppen werden mit viel Social Media Wirbel angelockt, und vorort wird dann Kultur auf  folgende Weise vermittelt: Kaum verständliche wissenschaftliche Beschreibungen der Exponate mit endlosen Schachtelsätzen, Audio-Guides mit schlecht aufbereiteten Inhalten, die weder Kulturkenner ansprechen (zu banal) noch Neulinge (zu langweilig rübergebracht).
Die Marketingabteilung verdient Lob für das Ranschaffen von Leuten, die normalerweise nicht ins Museum gehen. Aber wenn diese nachhaltig für das Museum begeistert werden sollen, muss man weiterdenken und auch die Inhalte vorort anders präsentieren. Kuratoren und Marketingleute sollten gemeinsam versuchen, sich in die Zielgruppe der jungen, aktiven, neuen Museumsbesucher versetzen, damit das Interesse, das via Kommunikation geweckt wurde, vorort verstärkt und in Wissen umgewandelt wird! Ich weiß, von außen kann man gut reden, interne Strukturen lassen so einen Austausch nicht immer problemlos zu 😉
Lest dazu Axel Kopps Beschreibung der El Greco Aktion des Kunstpalastes Düsseldorf !
Die Frage, die das Thema Social Media in der Kulturvermittlung betrifft:
– Wie könnte man die geniale Vermittlungsleistung von Markus Kottmann (bitte die ganze Story bei Axel nachlesen) über Social Media nutzbar machen?
– Ist das möglich, und ist das überhaupt notwendig?

Literatur und Blogs zum Thema

Blog von Bianca Bocatius (die gerade an ihrer Dissertation „Social Media in der Kunstvermittlung“ schreibt)
Blog von Bettina Riedrich: „Museale Vermittlung und Social Media“
Masterarbeit von Bettina Riedrich: Partizipation durch Social Media? Museale Vermittlung und das Partizipative Web

Kennt Ihr noch gute Literatur?