Expertenbefragung zum Thema Online Marketing im Kulturbereich: Interview mit Roger Levy
Das sechste Interview zum Thema Online Kulturmarketing:
Roger Levy
Er hat eine Berufslehre als Kaufmann absolviert.
Seit 1967 arbeitet er als Diskjockey, Radiomoderator und Filmemacher, organisiert Ausstellungen und hat an zahlreichen Kunstprojekten mitgewirkt. Zudem beschäftigt er sich seit einigen Jahren intensiv mit dem Internet und hat etliche Blogs und Podcasts initiiert. Zurzeit schreibt und produziert er beispielsweise kulturTV.ch.
Zu den Fragen
Das Internet hat das Marketing, dabei vor allem die Kommunikationspolitik, grundlegend verändert. “Kein anderes Medium veränderte in den letzten Jahren sowohl die Kommunikationsgewohnheiten als auch die Austauschbeziehungen in vergleichbarer Weise wie das Internet und wird es in den nächsten Jahren weiterhin revolutionierenâ€, sagt dazu Dr. Armin Klein, Professor am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.
1) Mehr und mehr Unternehmen ergänzen ihren Marketing-Mix durch Online-Marketing-Maßnahmen. Wie sieht es im Kulturbereich aus? Hat sich das Internet im Kulturmarketing schon durchgesetzt?
Grundsätzlich kann ich nur für die von mir betreuten Institutionen und KünstlerInnen sprechen. Es gibt immer wieder Ansätze, aber der Durchblick fehlt. Dies ist nicht auf ein Desinteresse zurück zu führen, sondern auf fehlende Ressourcen (Geld, Personal, Zeit). Hinzu kommt eine gewisse Angst dem Medium Internet gegenüber. Was passiert mit meinen Berichten/Aussagen/Photos/Videos usw. Auch das Urheberrecht spielt eine gewisse Rolle. Das Internet entzieht sich den üblichen Verwertungsgesellschaften.
Von „durchgesetzt“ kann also noch lange nicht gesprochen werden, eher von zaghaftem „Herantasten“.
2) Web 2.0 -„das Mitmach-Web“, wird zurzeit viel diskutiert. Anfangs wurden Blogs, Podcasts, Wikis und andere „Web 2.0“-Anwendungen eher als Spielzeug der Webaffinen gesehen, in jüngster Zeit werden Anwendungsmöglichkeiten für das Marketing ausgelotet. Siehst Du hier Potenziale und Chancen für das Online-Marketing von Kultureinrichtungen?
Ja, in jedem Fall. Doch gerade KünstlerInnen haben große Vorbehalte. Bekannt ist, dass sich jetzt schon viele nicht einer öffentlichen Diskussion stellen wollen (Aussage: Ich gebe der Öffentlichkeit durch meine Werke schon genug von mir …..). Sie lieben den geschützten Raum eines Museums oder einer Galerie. Er ist (s.a. Punkt 1) kontrollierbar. Das Web2.0 sucht und fordert ein neues Bewusst-Sein, ein „sich öffnen“. Diese Hindernisse müssen zuerst an den Hochschulen angegangen werden. Es müssen auch endlich die Vorteile eines solchen Heraustretens in die Unbekannte hervorgehoben werden.
3) Zum Status Quo des Online-Marketing in Kultureinrichtungen: Wie betreibt denn der „typische Kulturbetrieb“ Online-Marketing? Welche Möglichkeiten sind Kulturbetrieben bekannt, welche Maßnahmen führen sie durch?
So weit ich den Überblick habe, beschränken sich diese immer noch auf Postkarten, Flyer, Plakate, Veranstaltungskalender in Zeitungen und E-Mail-Einladungen. Die Kontakte zur Presse sind auch oft rudimentär, bzw. sind stark personengebunden. Wechselt der Redakteur, kann schnell niemand mehr in den Raum kommen.
4) Blick in die Zukunft: Was wird in den nächsten 3-5 Jahren im Online Kulturmarketing passieren? Wie werden Kultureinrichtungen das Internet im Marketing nutzen? Wohin geht die Entwicklung?
Ich weiß es nicht. Vielleicht gibt es plötzlich einen durchdringenden Trend, auf den dann aufgesprungen wird. Das Wissen dazu dürfte aber fehlen und somit besteht die Gefahr, dass der Tiefschlaf wieder überhand nimmt.
5) Was rätst Du Kultureinrichtungen, die mit Online-Marketing starten oder die ihr Online-Marketing verbessern wollen? Kurzer Tipp vom Experten?
Zwei Begriffe sind das A und O: Lebendigkeit und Authentizität. Wer meint, er müsse „besonders hochwertige Kunst anbieten“, wird sich weiterhin im Glaspalast bewegen und eine breitere Öffentlichkeit nicht erreichen. Und dann natürlich als Überbegriff: Mut, Mut, Mut.
6) Vielen Dank! Interessanter neuer Aspekt, den bisher noch niemand angesprochen hat: „KünstlerInnen lieben den geschützten Raum eines Museums oder einer Galerie“. Damit starten wir doch gleich die Diskussion…
Zur aktuellen Befragung
Hat das Internet schon Einzug gehalten in den Kulturbereich? Wird es für das Marketing genutzt? Wie sieht der Status Quo des Online Kulturmarketing aus und was könnte die Zukunft bringen? Was sagen Experten dazu?
Studie gibt es bisher keine zu diesem Thema; ich habe beschlossen, die Einschätzung einiger ExpertInnen einzuholen und die Interviews in mein Blog zu stellen – und dann abschließend eine Auswertung zu liefern.
Das ersten Interviews gaben mir
- Christian Henner-Fehr (Das Kulturmanagement Blog)
- Jennifer Hoffmann (Blog: “Kulturmarketing und Weiterbildung im digitalen Zeitalterâ€)
- Jörn Borchert (Blog: Kulturelle Welten)
- Christian Holst (Blog: Kulturblogger)
- Simon A. Frank (Institut für Kulturmanagement Ludwigsburg; Blog: kunstistauchkaktus)
Weitere werden folgen.
Ich habe einige Zusagen und bin schon gespannt auf neue Ideen, Aspekte und Sichtweisen…
Am geschützten Raum ist einiges dran. Und dann ist da noch der Anspruch vieler Künstler, die meinen, wenn sie sich im Netz (gleich welcher Art) präsentieren, müsse es perfekt sein, eben auch ein Kunstwerk und passend zum eigenen oevre. Viele betrachten die Darstellung im Netz wohl als Kommerzialisierung, deren sie nicht würdig sind.
In diesem Interview wurden in der Tat zwei wohl sehr ausschlaggebende Punkte genannt, die den Durchbruch des online Kulturmarketings hemmen:
a)die Angst vor der „Unberechenbarkeit“ des Internets:
„Was passiert mit meinen Berichten/Aussagen/Photos/Videos usw.“
b) Die Vorteile, die das Web bringen kann sind für viele noch unbekannt/nicht offensichtlich:
„Es müssen auch endlich die Vorteile eines solchen Heraustretens in die Unbekannte hervorgehoben werden.“
Es wird wohl noch einige erfolgreiche Beispiele benötigen, die diese Bedenken relativieren können. Ein sehr gutes Interview!
Die Angst vor der Unberechenbarkeit ist ja eigentlich die Angst vor den eigenen Fehlern. Fehler dürfen wir nicht machen, weil sie in unserer Gesellschaft als Tabu gelten. Wir dürfen keine Fehler machen, etwas darf nicht schief gehen. Scheitern ist verboten!
So lange diese Sichtweise unsere Gesellschaft dominiert, wird es schwer sein, den Kunst- und Kulturbereich, aber auch andere Branchen, davon zu überzeugen, dass die Unberechenbarkeit des Web nicht nur ein Risiko, sondern eben auch eine Chance darstellt.
Danke für Eure Kommentare!
@Mart:
„die Angst vor der „Unberechenbarkeit“ des Internets“ – ist natürlich auch Gewöhnungsssache. Ich denke, auch die, die mittlerweile das Internet selbstverständlich nutzen, hatten bei ihren ersten öffentlichen Äußerungen ein komisches Gefühl…?
–>kann also noch werden…
@Christian:
„Scheitern ist verboten“ – ich finde, dass sich diese Sichtweise schon langsam etwas aufweicht. In der Generation meiner Eltern gibt es kaum jemanden, der Scheitern als Chance für einen Neuanfang betrachten würde, und nun schau mal bei Amazon, wie viele Bücher es zu diesem Thema gibt… Da hat sich was getan in den letzten Jahren…
Das mit den Büchern mag stimmen. Aber mein Hauptargument ist und bleibt: geh mal als UnternehmerIn in Konkurs und versuch dann für den zweiten Versuch einen Kredit bei einer Bank zu bekommen.
Zweitens: wirf mal einen Blick in die Zeitungen und Zeitschriften und schau Dir das Bild an, das die Gesellschaft von UnternehmerInnen hat. Da ist von Kapitalisten, Ausbeutern etc. die Rede, alles Bezeichnungen, die tief blicken lassen.
Mag sein, dass so langsam etwas Bewegung entsteht, aber unternehmerisches Denken und Handeln muss man mit der Lupe suchen. Die Risikobereitschaft gehört da meiner Meinung nach dazu. Und alles zusammen geht uns ziemlich ab.
@Christian:
Ich gebe Dir Recht.
Aber ich glaube, dass sich das gaaaanz, ganz langsam bessert hier im Lande – sowohl in Deinem, als auch in meinem 😉
Hoffnung macht die Internet-Gründerszene. Wenn man sich die vielen Start-ups anschaut – im Internet geht`s immer wieder um ausprobieren, Erfolg haben oder scheitern, wenn man scheitert was anderes probieren mit den Erfahrungen, die man gesammelt hat.
Wenn Lukasz Gadowski, Gründer des Vorzeige-Startup Spreadshirt, in einem Interview ausführlich und ohne zu beschönigen von seinem ersten gescheiterten Unternehmen erzählt und dann endet mit „Trotz allem war für mich klar, dass ich eines Tages einen neuen Versuch starten würde. 2002 habe ich dann Spreadshirt gegründet,“ dann macht das doch Hoffnung.
Vielleicht färbt ja diese Internet-Gründer-Mentalität auch irgendwann auf die Offline-Welt ab?
Das stimmt schon, Karin. Begünstigt wird diese Entwicklung durch die Tatsache, dass diese Start-ups längst nicht diese Geldsummen benötigen wie zu Zeiten der New Economy.
Ich denke auch, dass diese Entwicklung irgendwann mal in unserer Gesellschaft ankommt und sich unsere Sichtweisen bezüglich Unternehmertum ändern. Aber es könnte etwas schneller gehen.
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