Expertenbefragung zum Thema
Online-Marketing im Kulturbereich:
Interview mit Christoph F. Mathiak
Interview Nr. 17 meiner Expertenbefragung zum Thema Online-Marketing im Kulturbereich:
Christoph F. Mathiak
Kurzvita:
Studium der Betriebswirtschaftslehre an der FU Berlin.
Langjährige Tätigkeit bei Wolfgang Bocksch Concerts unter anderem als Assistent der Geschäftsleitung und Sen. Marketing Director.
Seit 2006 Geschäftsführer der Berliner Gesellschaft für Kulturmarketing mbH. Im Moment erstellt die BGK das Portal tixclub.de, einen kostenlosen online Besucherclub für Liebhaber von Live-Veranstaltungen.
Zu den Fragen
Das Internet hat das Marketing, dabei vor allem die Kommunikationspolitik, grundlegend verändert. “Kein anderes Medium veränderte in den letzten Jahren sowohl die Kommunikationsgewohnheiten als auch die Austauschbeziehungen in vergleichbarer Weise wie das Internet und wird es in den nächsten Jahren weiterhin revolutionierenâ€, sagt dazu Dr. Armin Klein, Professor am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.
1) Mehr und mehr Unternehmen ergänzen ihren Marketing-Mix durch Online-Marketing-Maßnahmen. Wie sieht es im Kulturbereich aus? Hat sich das Internet im Kulturmarketing schon durchgesetzt?
Grundsätzlich lässt sich folgendes festhalten:
1. Es gibt einen deutlichen Unterschied in der Art der Nutzung des Internets durch subventionierte und unsubventionierte Anbieter.
2. Es gibt innerhalb dieser beiden Gruppen immense Unterschiede in Intensität und Qualität der Online-Aktivitäten.
3. Die Bedeutung scheint vom Marketing der Anbieter erkannt, die Zielstellung aber zum Teil noch recht nebulös.
4. Die größten Werber aus dem Kulturumfeld sind die Ticketsysteme. Diese bewerben aber selten eine Veranstaltung sinnvoll, es geht mehr darum, Marktanteile gegen andere Systeme zu verteidigen.
5. Die Möglichkeiten des Internets als Distributionsweg sind leider von den wenigsten Anbietern erkannt worden, bzw. man hat auch diesen Absatzweg Fremdfirmen anvertraut. Darunter leidet das gesamte Online Dialog-Marketing des Anbieters irreversibel, weil man – wenn überhaupt – nur noch unpersonalisierte Kundendaten zur Verfügung hat und die Ticketgebühren für das eigene Marketing verloren sind.
Insofern läßt sich hier schwer eine Antwort geben – es ist wie so oft: es gibt solche und solche.
Der Trend zum Online-Marketing ist aber unübersehbar.
2) Web 2.0 -â€das Mitmach-Webâ€, wird zurzeit viel diskutiert. Anfangs wurden Blogs, Podcasts, Wikis und andere “Web 2.0″-Anwendungen eher als Spielzeug der Webaffinen gesehen, in jüngster Zeit werden Anwendungsmöglichkeiten für das Marketing ausgelotet. Siehst Du hier Potenziale und Chancen für das Online-Marketing von Kultureinrichtungen?
Das Online-Angebot von Kulturanbietern lebt, wie alle Angebote, vom Content. Beim Web 2.0 wird der nun vom Nutzer erstellt. Wenn ein Anbieter ein Angebot hat, für das sich genügend Nutzer so weit begeistern lassen, daß Sie bereit sind, eigenen Content für den Anbieter zu generieren ist das natürlich optimal, weil so eine ganz enge Verbindung zum Publikum geschaffen werden kann.
Ein sehr schönes Beispiel hierfür ist die Spring Awakening Produktion in New York. Ein sehr jugendliches Marketing, was sich sehr demokratisch und revolutionär gibt.
Ob das jetzt aber mehr wie Web 2.0 aussieht, oder wirklich Web 2.0 ist, will ich mal dahingestellt lassen. Okay, jetzt gibt es neben der Web-Site noch eine auf myspace (immerhin über 15.000 !!! myspace-Freunde und über 900.000 Besucher) und eine bei facebook.
Der Mehrwert für den Fan ist, daß er sich jetzt als Teil einer Gemeinschaft fühlen kann.
So ist es Spring Awakening gelungen, einen echten Hype unter Jugendlichen in den USA auszulösen.
Aber ich rate, gerade wegen der vielen Möglichkeiten des Web 2.0, zur Vorsicht. Im Mittelpunkt muß auch in der Nutzerwahrnehmung noch das Live-Erlebnis stehen, nicht die Aktivitäten des Marketings im Netz. Die positive Kaufentscheidung ist noch immer der Höhepunkt für das Marketing, weil es für den Besucher der Schritt in die Welt des Live-Erlebens ist.
3) Zum Status Quo des Online-Marketings in Kultureinrichtungen: Wie betreibt denn der “typische Kulturbetrieb†Online-Marketing? Welche Möglichkeiten sind Kulturbetrieben bekannt, welche Maßnahmen führen sie durch?
Die eigene Internetseite ist das einzige, was in jedem Fall vorliegt – da führt heute kein Weg mehr dran vorbei.
Aber grundsätzlich gibt es alles: Blogs, Wikis, Newsletter, online Ticketshops, …
Beliebt ist noch die online Presseecke, in der Downloadangebote für Journalisten bereitgestellt werden.
Insgesamt kann man sagen, dass die von Stammbesuchern benötigten Informationen online vorgehalten werden. Diese Aufgabe bewältigen fast alle Anbieter zufriedenstellend.
Was eindeutig fehlt ist eine klare Zielstellung, die Ausrichtung auf die Erstbesuchergewinnung und die Bündelung von Besucherbindung, Bewerbung, Datenerhebung und Distribution im Kanal Internet.
Da liegt bei unserer Beratung auch oft der erste Fokus. Wie erfasse ich die Besucherdaten so, dass sie für das Marketing komfortabel verwendet werden können, wie nutze ich den Verkaufsprozess zur Datengewinnung und welche Tracking-Modelle sind notwendig, um die Besucheransprache verbessern zu können. So lassen sich auch ganz nebenbei Besucherstrukturdaten ausserhalb der grossen Erhebungen erfassen. Das ist dringend geboten , wenn man ein auf einzelne Produktionen abgestimmtes Marketing betreiben möchte.
4) Blick in die Zukunft:
Was wird in den nächsten 3-5 Jahren im Online Kulturmarketing passieren? Wie werden Kultureinrichtungen das Internet im Marketing nutzen? Wohin geht die Entwicklung?
Insgesamt wird mit der weiteren Zunahme der Ticketverkäufe über das Internet auch die Bewerbung im Internet zunehmen. Schon jetzt informieren sich mehr als die Hälfte aller Kartenkäufer vor der Kaufentscheidung im Internet.
Ich gehe davon aus, daß im hochkulturellen und freien Sektor noch sehr viele Kreative und gute Ideen aufkommen werden, daß das Internet zu einer eigenen Spielwiese werden wird, die auch die Künstler immer mehr für sich persönlich entdecken werden. Ob sich daraus tragfähige und übertragbare Konzepte entwickeln bleibt abzuwarten.
Im unsubventionierten Bereich werden wir den beschleunigten Niedergang der Anbieter erleben, die nicht konsequent die Datenerhebung und Auswertung optimieren und so ihre Marketingkosten senken, bzw. den ROI steigern können.
In diesem Zusammenhang wird sich auch der Rückzug der Anbieter in Nischenmärkte beschleunigen, die über kein eigenes Ticketsystem verfügen.
Diese Entwicklungen werden in den margen-starken Sektoren naturgemäß langsamer ablaufen, als in den margen-schwachen.
Wir entwickeln im Moment einen Online-Club für alle Liebhaber von Live-Entertainment und Kultur.
Darin werden sich Menschen zusammenfinden, die ihre Lebensqualität durch das Live-Erleben steigern wollen und es wird ein Portal sein, in dem Kultur und Entertainment ihre Angebote vorstellen können.
Das Angebot wird für alle Mitglieder und Anbieter 100%ig kostenlos sein. Die Kosten für das Angebot tragen wir gemeinsam mit Spendern.
Wir möchten damit Besuchern und Kulturschaffenden einen einfachen, optimierten und kostenlosen Weg bieten, die Möglichkeiten des Internets zu nutzen.
5) Was rätst Du Kultureinrichtungen, die mit Online-Marketing starten oder die ihr Online-Marketing verbessern wollen? Kurzer Tipp vom Experten?
1. Von Beginn an Fachleute einbinden! Mehr Geld und Nerven können Sie gar nicht sparen.
2. Klare und überprüfbare Ziele setzen und verfolgen!
3. Erstmal die Online-Aufgaben in Angriff nehmen, die sofort Einnahmen versprechen – das schafft Akzeptanz in der Einrichtung.
4. In der klassischen Unternehmenskommunikation und Werbung deutlich auf das Internetangebot hinweisen.
5. Keine Angst vor Kooperationen mit anderen Kulturanbietern! Ihr größter Mitbewerber ist das Fernsehen – wenn Sie einen Besucher davon schon mal für einen Abend weggeholt haben gewinnen alle (besonders der Besucher)!
6) Vielen Dank!
Zur aktuellen Befragung
Hat das Internet schon Einzug gehalten in den Kulturbereich? Wird es für das Marketing genutzt? Wie sieht der Status Quo des Online Kulturmarketing aus und was könnte die Zukunft bringen? Was sagen Experten dazu?
Studie gibt es bisher keine zu diesem Thema; ich habe beschlossen, die Einschätzung einiger ExpertInnen einzuholen und die Interviews in mein Blog zu stellen – und dann abschließend eine Auswertung zu liefern.
Weitere Interviews zu
diesem Thema gaben mir
- Christian Henner-Fehr (Das Kulturmanagement Blog)
- Jennifer Hoffmann (Blog: “Kulturmarketing und Weiterbildung im digitalen Zeitalterâ€)
- Jörn Borchert (Blog: Kulturelle Welten)
- Christian Holst (Blog: Kulturblogger)
- Simon A. Frank (Institut für Kulturmanagement Ludwigsburg; Blog: kunstistauchkaktus)
- Roger Levy (kulturTV.ch)
- Jan Smacka (Webmaster kulturmarken.de)
- Dirk Heinze (Kulturmanagement Network)
- Thilo Martini (Mai-Tagung: Museums And The Internet)
- Alexander Süß (kulturlinxx.de)
- Sabine Gysi (Jazzclub Moods, Salonpalaver)
- Prof. Dr. Armin Klein (Leiter des Studienganges Kulturmanagement an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg)
- Prof. Dr. Steffen Höhne (Leiter des Studienganges Kulturmanagement an der Hochschule Franz Liszt, Weimar)
- Frank Tentler (Leiter des Webteams der Duisburger Philharmoniker)
- Burkhard Rosskothen (einfallsreich Marketingkommunikation GmbH&KoKG, einfallsreich.tv, einfallsreich Blog)
- Ulrike Schmid (Blog: Kultur 2.0, Social Media Consultant der Kronberg Academy)
@Christoph:
„Erstmal die Online-Aufgaben in Angriff nehmen, die sofort Einnahmen versprechen – das schafft Akzeptanz in der Einrichtung.“
Jetzt machst Du mich aber neugierig. Welche Online-Aufgaben versprechen sofort Einnahmen?
@ Christian
Entschuldige bitte, dass ich mich etwas nebulös ausgedrückt habe.
Ich meine damit alle Aktivitäten, die sich direkt positiv auf die Ticketeinnahmen oder die Rentabilität des Verkaufsprozesses auswirken und bei denen die Wirkung zweifelsfrei auf die Online-Maßnahmen zurückgeführt werden kann. Das geht von werblichen Aktivitäten wie Bannerwerbung und Textanzeigen bis zu Änderungen in der Struktur des Ticketings.
@Christoph,
vielen Dank nochmal für Deine ausführlichen Antworten auf meine Fragen!
zu Frage 1, Punkt 5:
„Die Möglichkeiten des Internets als Distributionsweg sind leider von den wenigsten Anbietern erkannt worden, bzw. man hat auch diesen Absatzweg Fremdfirmen anvertraut. Darunter leidet das gesamte Online Dialog-Marketing des Anbieters irreversibel, weil man – wenn überhaupt – nur noch unpersonalisierte Kundendaten zur Verfügung hat und die Ticketgebühren für das eigene Marketing verloren sind.“
Du darfst aber nicht vergessen, dass die ganze Geschichte mit dem Online-Ticketverkauf intern viel Zeit kostet und Ressourcen bindet.
Für einmalige Veranstaltungen wie z.B. Festivals, Kongresse, Konzerte… hat sich
Amiando http://de.amiando.com/ einen guten Namen gemacht. Natürlich zahlt man denen was pro Ticket (7,5%), dafür ist einem aber sehr viel Arbeit abgenommen. Die Besucherdaten bekommt man trotzdem und man kann in einem Schritt mit dem Ticketverkauf gleich eine Besuchercommunity aufbauen, weil Besucher auch ein Profil anlegen können…
Ist natürlich für regelmäßige Veranstaltungen nicht geeignet, aber da wird es bestimmt auch geschickte Anbieter geben, oder?
Zu Punk 5.3:
Ja, jetzt verstehe ich auch, was Du meinst.
Klar, bis Social Media Aktivitäten zu höheren Verkaufszahlen führen vergeht schon etwas Zeit, und so ein Banner, am richtigen Ort geschalten, kann schon mal kurzfristig was bringen.
Aber Banner, die wirklich oft angeklickt werden sind teuer (außer, es handelt sich um eine Kooperation, bei der man für den Banner nichts zahlt) und auch Google Adwords kommt mit der Zeit ziemlich teuer. Läuft das Blog erstmal, braucht man das alles nicht mehr, auch keinen SEO-Profi, man packt einfach die Keywords in die Blogbeiträge.
Aber klar, bis eine Einrichtung soweit ist, muss sie auch viele Stunden investieren… oder ihr Geld in eine kompetente Social Media Beratung stecken…
@ Karin
Der Hinweis auf den Online-Anbieter Amiando ist richtig – die Einschränkungen ebenfalls.
„Ist natürlich für regelmäßige Veranstaltungen nicht geeignet, aber da wird es bestimmt auch geschickte Anbieter geben, oder?“
Das ist richtig. Doch leider leider sind einige Anbieter etwas zu geschickt.
Ein recht guter Artikel zur geplanten Fusion von Ticketmaster und Live Nation erschien vor wenigen Tagen in der Berliner Zeitung und das Thema ist leider gerade für kleine Anbieter drängender als üblicherweise angenommen.
Aber selbst grosse Anbieter sind hier alles andere als sicher, wie der Umgang mit Bruce Springsteen zeigt.
Erst massive Proteste haben dazu geführt, dass die Besucher Tickets wieder zum regulären Preis erwerben konnten. Springsteen wies bei seinem Protest auch darauf hin, das es leider Veranstalter zu geben scheint, die (häufig am Künstler vorbei) – in jedem Fall aber gegen die Interessen des Publikums gerichtet – den Ticketzweitmarkt als regulären Absatzweg nutzen.
In Deutschland ist ähnliches zu erwarten, wenn sich die Marktanteile im Ticket-Zweitmarkt gefestigt haben. Verlierer sind bereits jetzt die durchschnittlichen Besucher und in vielen Fällen die Veranstalter.
Dir auch noch einmal herzlichen Dank für die Möglichkeit, hier meine Ansichten zu vertreten und für Deine Mühen, die eine solche Interview-Reihe zweifelsfrei bereiten!
[…] Christoph F. Mathiak (Berliner Gesellschaft für Kulturnarketing, Portal tixclub.de) […]
[…] Christoph F. Mathiak (Berliner Gesellschaft für Kulturnarketing, Portal tixclub.de) […]
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Danke für diesen sehr interessanten und informativen Artikel.
Das Interview gefällt mir, weil es einen unmittelbaren Einblick in die Praxis vermittelt. Ich wünsche mir mehr davon!