ExpertInnenbefragung zum Thema Online Marketing im Kulturbereich: Interview mit Jennifer Hoffmann

Meine zweite Interview-Partnerin zum Thema Online-Marketing im Kulturbereich ist

Jennifer Hoffmann

Foto Jennifer HoffmannSie hat Sinologie in Hamburg und Chengdu (VR China) studiert und ihr Studium mit einem MA in Asia Pacific Studies von der University of Leeds (UK) abgeschlossen.
Ihre bisherigen beruflichen Stationen waren die Telekommunikations- und IT-Branche in Brüssel, Dublin und Berlin (Tätigkeiten im Projekt Management und vor allem im strategischen und operativen Marketing) und das Webcuts Internet Film Fest Berlin. Derzeit ist sie als Programm Managerin der INSIGHT OUT / HFF Academy an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam tätig. Sowohl in der Vermarktung von Webcuts als auch von INSIGHT OUT spielen Online Marketingmaßnahmen eine wichtige Rolle. Ihre Erfahrungen reflektiert sie in ihrem Blog zu Kulturmarketing und Weiterbildung im digitalen Zeitalter.

Nun zu den Fragen

Das Internet hat das Marketing, dabei vor allem die Kommunikationspolitik, grundlegend verändert. „Kein anderes Medium veränderte in den letzten Jahren sowohl die Kommunikationsgewohnheiten als auch die Austauschbeziehungen in vergleichbarer Weise wie das Internet und wird es in den nächsten Jahren weiterhin revolutionieren“, sagt dazu Dr. Armin Klein, Professor am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

1) Mehr und mehr Unternehmen ergänzen ihren Marketing-Mix durch Online-Marketing-Maßnahmen. Wie sieht es im Kulturbereich aus? Hat sich das Internet im Kulturmarketing schon durchgesetzt?

Die eigene Website gehört heute selbstverständlich dazu und zumindest in dem Bereich ist das Internet im Kulturmarketing angekommen. Darüber hinaus scheint mir noch nicht viel im Bereich des online Marketings für Kultureinrichtungen zu passieren. Einige der guten Beispiele hast Du ja bereits auf Deinem Blog vorgestellt. (Anm.: hier und hier)

Die meisten der Künstler und Kulturschaffenden, der vielen kleinen Projekte und Initiativen, erhalten weder irgendeiner Förderung noch haben sie jemanden, der sich um ihr Marketing kümmert. Gerade für diese Gruppe der Kultureinrichtungen bietet das Internet aus meiner Sicht besonders viele Möglichkeiten, die weitest gehen ungenutzt sind. Darauf möchte ich dann auch in meinen nachfolgenden Antworten abstellen.

Das sollte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass selbst große Museen und Galerien, die zwar Marketing-Agenturen beauftragen, häufig auch keine online Kommunikationsstrategie haben und sich damit langfristig eines jüngeren Publikums berauben, da dieses zwar nicht ausschließlich, aber doch mit größerer Wahrscheinlichkeit über online Kanäle erreicht wird.

Da sich das Internet so unglaublich rasant entwickelt, ist es jedoch sehr schwierig sowohl für Unternehmen als auch für Kultureinrichtungen mit den Entwicklungen Schritt zu halten. In der Hinsicht gibt es auch nur wenige Vorbilder und mir scheint das ganze Gebiet online Marketing für Kultureinrichtungen noch ein großes Experimentierfeld zu sein.

2) Web 2.0 -„das Mitmach-Web“, wird zurzeit viel diskutiert. Anfangs wurden Blogs, Podcasts, Wikis und andere „Web 2.0“-Anwendungen eher als Spielzeug der Webaffinen gesehen, in jüngster Zeit werden Anwendungsmöglichkeiten für das Marketing ausgelotet. Siehst Du hier Potenziale und Chancen für das Online-Marketing von Kultureinrichtungen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass hier große Potentiale noch völlig unangetastet vor sich hinschlummern. Doch halte ich die Orientierung an der Wirtschaft als Vorbild, wie diese genutzt werden könnten, für nicht ratsam. Bei den meisten Maßnahmen steht die Absatzorientierung zu stark im Vordergrund – egal wie unterhaltsam so ein viraler online Videospot ist, wie spannend ein Augmented Reality Game ist. Letztlich ist das Ziel der Verkauf von Produkten oder das Generieren von Schlagzeilen, die dann wieder den Produktverkauf fördern sollen, und dieses ist meist leicht zu erkennen und hinterlässt – zumindest bei mir – einen schalen Beigeschmack.

Doch Kultureinrichtungen haben einen kulturpolitischen Auftrag und sollten im weitesten Sinne das Publikum dazu anregen, sich mit der Gesellschaft auseinander zu setzen. Wer also Web2.0 nur nutzen möchte, um mehr Eintrittskarten zu verkaufen, denkt meiner Ansicht nach zu kurz. Nimmt man aber all die Eigenschaften, die im Zusammenhang mit Kommunikation mittels Web2.0-Werkzeugen gepredigt werden Ernst – wie z.B. Authentizität, Aufrichtigkeit, Glaubwürdigkeit, die Bereitschaft sich mit anderen zu vernetzen und deren Meinung auch Ernst zu nehmen – dann bieten sich plötzlich ganz neue Möglichkeiten. Dann sind Museumsbesucher eben nicht mehr nur Menschen, die Eintrittskarten kaufen. Sondern man kann sie auch als Mitglieder einer Gemeinschaft begreifen, die sich sozusagen um ein Museum herum gruppiert. Und diese Gemeinschaft kann organisiert werden oder besser noch organisiert sich selbst mit Hilfsmitteln des Web2.0.

Prof. Klein nennt das die veränderten „Austauschbeziehungen“. Das ist doch das eigentlich spannende an den Veränderungen, die wir gerade erleben: Die Zweiteilung Produzent – Konsument löst sich langsam auf. Bezogen auf Kunst und Kultur stellt sich da die Frage: Wie verhält es sich mit der Zweiteilung Künstler – Publikum? Ich persönlich finde in Sachen Kunst gerade am interessantesten was in den folgenden Bereichen passiert: Open Source Movies, Literatur auf den sogenannten Litblogs, Kunstaktivitäten in Second Life etc.

Die Grenze zwischen Marketing und Kollaboration verschwimmt dort: Wenn ich bei einem Open Source Movie 100$ spende und dafür irgendwann mal, sollte dieser Film es jemals in die Kinos schaffen oder als DVD verkauft werden, einen prozentualen Anteil am Erlös erhalte, dann kann man das noch als Marketing begreifen, schließlich gehöre ich als Spender eben auch zum Publikum. Wenn ich aber 100$ spende und dazu noch eine von mir gefilmte Sequenz auf ein Webportal hochlade und diese dann im finalen Film zu sehen ist neben den Sequenzen, die ganz viele andere hochgeladen haben, dann ist das nicht mehr nur Marketing.

Ich will jetzt auch nicht dafür plädieren, dass alles zum Mitmach-Kunstwerk wird. Aber zwischen dem Besuch einer Ausstellung und einer Beteiligung an einem Open Source Movie – in diesem großen weiten Spannungsfeld gibt es sehr viele Möglichkeiten für Kultureinrichtungen, das Web2.0 zu nutzen, um ihrem kulturpolitischen Auftrag gerecht zu werden. Um den Bogen wieder zu schließen: es darf eben nicht nur den schalen Beigeschmack des „Wir wollen hier nur unsere Eintrittskarten verkaufens“ haben, sondern es sollte dabei um eine aufrichtige und glaubwürdige Auseinandersetzung mit und/oder Einbindung des Publikums gehen.

3) Zum Status Quo des Online-Marketing in Kultureinrichtungen: Wie betreibt denn der „typische Kulturbetrieb“ Online-Marketing? Welche Möglichkeiten sind Kulturbetrieben bekannt, welche Maßnahmen führen sie durch?

Ich kann hier schlecht für „den Kulturbetrieb“ sprechen. Meiner Meinung nach bieten online Aktivitäten und Web2.0 vor allem aber kleineren Initiativen die keine großen Budgets haben, aber mit Enthusiasmus und Manpower ausgestattet sind, besonders viele Möglichkeiten, die früher nicht existierten. Deshalb möchte ich hier kurz die Aktivitäten bei Webcuts beschreiben, die ich für ein gutes und vor allem frühes Beispiel des Einsatzes von dem, was heute als Web2.0 bezeichnet wird, halte.

Der Initiator von Webcuts, Eckhard M. Jäger, ist ein Web- und Grafikdesigner, der sich sehr gut mit 3D Software auskennt und z.B. ein aktiver Nutzer der Open Source 3D-Software Blender ist und in vielen Online Communities, die sich mit diesen Themen befassen, aktiv ist. Damals im Jahr 2000, lange bevor online Communities und online Videoportale einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurden, gab es ambitionierte Künstler und Grafiker, die mit dieser Software Kurzfilme hergestellt haben und diese auf ihren eigenen Webseiten veröffentlichten. Über die Foren kannte Eckhard eine ganze Reihe von denen, sammelte ihre Filme und projezierte sie in Berlin in Gesellschaft von anderen Grafikern und Freunden auf eine große Leinwand. Das erste Webcuts war geboren. Auch wenn in den letzten beiden Jahren diese Leinwand in einem Kino mit 550 Sitzen im Sony-Center am Potsdamer Platz stand, so hat sich an der grundsätzlichen Herangehensweise nichts geändert: Über die Foren wird mit den Kreativen kommuniziert – und das ist aufwendige Handarbeit: Postings und Verlinkungen, Leute persönlich per Mail kontaktieren, auf deren Blogs kommentieren etc. So hat sich die Zahl der Einreichungen von 30 auf über 200 gesteigert. Aufgrund der guten Kontakte in die Gemeinschaft von 3D-Webgrafikern wurde Webcuts im Laufe der Jahre für Sponsoren interessant (hauptsächlich Software-Firmen, die kommerzielle 3D Software anbieten) und mit dem Trendthema Video im Internet war auch das Interesse bei öffentlichen Fördergebern wie dem Medienboard Berlin-Brandenburg geweckt.

Flankierend wurden noch Flyer und Poster gedruckt und klassische Pressearbeit geleistet. Insbesondere die Pressearbeit war wichtig, um den Schritt von kleiner Underground-Veranstaltung zu größerem Event im Sony-Center zu schaffen. Jedoch waren es die gesammelten Aktivitäten in den Communities, die uns die vielen Filmeinreichungen brachten und auch die Mehrheit der Besucher im Kino wurde darüber akquiriert.

Einen Punkt möchte ich noch hervorheben, der noch mal an das Thema Authentizität und Glaubwürdigkeit, das ich schon bei Frage 2 angeschnitten hatte, anknüpft: Obwohl Webcuts von einem Team organisiert wird, kommuniziert jeder von uns in „seine“ Community, da jeder nur in seiner Community auch über die entsprechende Glaubwürdigkeit verfügt: Eckhard mit den Blender-Entwicklern/Anwender, ein weiterer Grafiker postet in noch anderen Grafik-Foren, in denen er öfter schreibt, die Pressekollegin hat den Presseverteiler bedient, in dem sie schon bekannt ist usw. Ich hätte mit keinem von den Blender-Typen kommunizieren können, dafür aber mit Fördergebern und Marketingleuten. Das ist keine klassische Werbung mehr, sondern eine Form des weltweiten Kommunizierens, die erst das Internet möglich macht.

4) Blick in die Zukunft: Was wird in den nächsten 3-5 Jahren im Online Kulturmarketing passieren? Wie werden Kultureinrichtungen das Internet im Marketing nutzen? Wohin geht die Entwicklung?

Das ist natürlich schwer vorherzusagen. Insofern möchte ich hier nicht das Orakel spielen, sondern stichpunktartig versuchen, einige Bereiche heraus zu greifen, die mir wichtig erscheinen:

  • Online Video und Podcast: Ich wünsche mir sehr, dass mehr Kultureinrichtungen in diesem Feld experimentieren. Das lässt sich mit relativ geringem Kostenaufwand bewerkstelligen, wenn man sich eher auf kreativen Inhalt denn auf Hochglanz-Form konzentriert. Kulturprojekte haben so viel zu bieten, was sich als Bild mit oder nur als Ton einfangen ließe. Hier gibt es großes Potential für virales Marketing, wenn man eine intelligente Kampagne kreieren würde.
  • Social Networks: Lohnen sich, gerade für kleinere Projekte, auf jeden Fall. In diesem Bereich vermute ich das größte kurzfristige Entwicklungspotential.
  • Events und Live Broadcast: Früher hat ein Live Stream ins Internet einen Betrag im 4-stelligen Bereich gekostet. Das verändert sich gerade rasant und dank einiger spezialisierter live broadcast Plattformen im Internet können Veranstaltungen jeglicher Art kostengünstig für ein weltweites Publikum im Internet live gezeigt werden. Wer also eine Community aufgebaut hat, die geographisch verteilt ist, für den ergeben sich hier neue Möglichkeiten. Am Beispiel Webcuts aufgezeigt: Blender-User in Lateinamerika und Asien haben die Webcuts-Verleihung in 2006 als live stream auf der Webcuts-Website und in 2007 live in Second Life verfolgen können. Darüber wurde das Festival in den Ländern bekannter und die Blender-Nutzer und ihre Freunde konnten live sehen, dass es eine „coole“ Veranstaltung ist, bei der sie im nächsten Jahr vielleicht ihren nächsten Film einreichen.
  • Online Advertising: Außer für Hollywood-Filme ist mir bisher nur wenig Bannerwerbung o.ä. aus dem Kultursektor begegnet. Für INSIGHT OUT habe ich damit auch schon experimentiert, doch haben sich die Anzeigen im Kosten/Nutzenverhältnis nicht ausgezahlt. Ich halte das also eher für einen Teilbereich der online Werbung, die sich für Kulturmarketing nicht lohnt (außer eventuell über Medien-Kooperationen, so dass es keine echten Euros kostet).
  • Online Tickets: Ist eigentlich offensichtlich, aber noch immer nicht Standard…

5) Was rätst Du Kultureinrichtungen, die mit Online-Marketing starten oder die ihr Online-Marketing verbessern wollen? Kurzer Tipp von der Expertin?

Kleineren Kultureinrichtungen, die eher einen Initiativen- oder Projektcharakter haben, würde ich raten, von den Mitgliedern dieses Projekts auszugehen. Die Zielgruppe ist den eigenen Mitgliedern sicher nicht so unähnlich und wird über die gleichen Kanäle kommunizieren. Ich rate auch, die Aktivitäten nicht als Marketing zu betrachten, sondern als Kommunikation. Die ist Aufgabe von allen: jeder muss das in seinem eigenen Freundes- und Kollegenkreis weitertragen. Wenn sich wer findet, der gerne mal mit einer Kamera etwas aufnehmen möchte oder jemand gerne Texte schreibt, dann kann derjenige ein Video erstellen und auf You-Tube hochladen und alle schicken es an ihren Bekanntenkreis weiter. Oder der Texteschreiber richtet ein Blog ein und berichtet darauf regelmäßig.

Im Internet gilt mehr noch als auf anderen Kommunikationskanälen: aktuell sein. Wenn man eine Reaktion erhält (sei es als Email, Blogkommentar oder Youtube-Bewertung), sollte man innerhalb von 24 Stunden reagieren. Und die Kommunikation sollte unbedingt persönlich gehalten werden (noch so ein wichtiger Unterschied zu klassischer Werbung): Ein paar engagierte Menschen stellen etwas auf die Beine. Das muss auch rüberkommen in der Kommunikation. Wenn einer Freizeittheatergruppe der Hauptdarsteller wegen einer Krankheit auszufallen droht– dann ist das die persönliche Geschichte die zählt und die man auf dem Blog posten kann. Um die Funkverbindung für den Webcuts-Live Stream einzurichten, durfte ich mit dem Techniker (von einem der Sponsoren) auf das Dach des Sony-Centres. Da kommt man als Normalsterblicher nicht drauf und ich habe Höhenangst. Das garniert mit zwei Fotos ist auch schon wieder ein Blogpost, der die Spannung erhöht und Appetit auf die eigentliche Veranstaltung macht. Wenn man das spannend gestaltet und regelmäßig seine Fans oder Freunde über ein Blog oder z.B. bei Myspace oder Facebook auf dem Laufenden hält, dann werden diese es auch an ihre Freunde weitergeben. Und jeder 20. davon kommt dann vielleicht auch wirklich ins Theater und vielleicht ist einer von den Myspace-Followern jemand, dessen Vater mal ein Sponsor wird…

Der letzte Punkt ist auch wieder der wichtigste: Diese ganze Kommuniziererei sollte man aber nicht so bierernst nehmen, sondern sie soll auch Spaß machen. Wenn es den Mitgliedern des Projekts Spaß macht, dann wird es auch anderen so ergehen und damit ist schon viel gewonnen.

6) Du hast so einiges angesprochen und interessante Punkte eingebracht. Spannend finde ich auch Deine eigenen Erfahrungen und Berichte aus Deiner Praxis. Vielen Dank!

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Zur aktuellen Befragung

Hat das Internet schon Einzug gehalten in den Kulturbereich? Wird es für das Marketing genutzt? Wie sieht der Status Quo des Online Kulturmarketing aus und was könnte die Zukunft bringen? Was sagen Experten dazu?

Studie gibt es bisher keine zu diesem Thema; ich habe beschlossen, die Einschätzung einiger Experten einzuholen und die Interviews in mein Blog zu stellen – und dann abschließend eine Auswertung zu liefern.

Das erste Interview gab mir
Christian Henner-Fehr
(Das Kulturmanagement Blog),
weitere werden in den nächsten Tagen folgen.
Ich habe einige Zusagen und bin schon gespannt auf neue Ideen, Aspekte und Sichtweisen…